Ambulant vor stationär – aber nicht vor dem Gesetz?

Eine Gerechtigkeitslücke, die Folgen haben kann

Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ ist seit Jahren fester Bestandteil der Pflegepolitik in Deutschland. Er verfolgt das Ziel, pflegebedürftige Menschen möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung zu unterstützen und ihre Lebensqualität zu fördern. In der Praxis zeigen aktuelle Regelungen im Sozialgesetzbuch (SGB) jedoch eine Diskrepanz zwischen diesem Leitgedanken und der tatsächlichen finanziellen Unterstützung durch die Leistungsträger. Patient:innen mit einem hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben Anspruch auf außerklinische Intensivpflege (AKI) gemäß § 37c SGB V – wahlweise zu Hause oder in stationären Einrichtungen. Während im stationären Bereich Unterkunft und Verpflegung übernommen werden, müssen ambulant betreute Menschen diese Kosten privat tragen. Eine mögliche Folge: Eine Entscheidung, die eigentlich frei getroffen werden sollte, kann aus wirtschaftlichen Gründen verzerrt sein. (BMJ, 2020)

Hürden bei der Kostenübernahme nach SGB XII

Auch bei der Hilfe zur Pflege nach SGB XII zeigt sich ein ähnliches Bild. Betroffene müssen zunächst einen Antrag auf Grundsicherung stellen – ein langwieriger, oft belastender Prozess, der eine sofortige Versorgung erschwert. Besonders problematisch: Verstirbt ein:e Patient:in noch vor der Bewilligung, können ambulante Pflegedienste häufig ihren Kosten nicht geltend machen – im Gegensatz zu stationären Einrichtungen, die ihre Leistungen rückwirkend abrechnen können. Dies wurde durch ein Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen bestätigt, bei dem ein ambulanter Pflegedienst keine Erstattung für bereits erbrachte Leistungen erhielt, da die Kostenzusage noch ausstand.

Unser Wunsch: Überarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen

Diese Regelungslücke führt zu einer systematischen Benachteiligung ambulanter Strukturen – und damit zu einer Schwächung der Wahlfreiheit und Versorgungssicherheit der Patient:innen. Der Deutsche Pflegerat fordert deshalb, entsprechende gesetzliche Bestimmungen anzupassen sowie die Verwaltungsprozesse zu beschleunigen, um eine zeitnahe Kostenzusage zu gewährleisten.

Als Linimed Gruppe setzen wir uns außerdem für eine Pflege ein, die Menschen nicht nach Wohnform unterscheidet, sondern sie nach ihrem Bedarf unterstützt. Denn nur wenn alle Versorgungsformen gleichwertig unterstützt werden, wird aus dem Leitsatz „ambulant vor stationär“ gelebte Realität – im Sinne der Patient:innen, ihrer Angehörigen und der professionell Pflegenden.